Pflege-Ausbildung: Das Trauerspiel setzt sich fort

Eigentlich sind sich fast alle einig. Sollte man zumindest meinen. Deutschland benötigt mehr Pflegekräfte, wenn die Herausforderungen des demographischen Wandels und die steigende Zahl der Hochbetagten und Pflegebedürftigen adäquat betreut und gepflegt werden sollen. Und wenn mehr junge Menschen zukünftig eine Ausbildung in der Pflege absolvieren – und vor allen Dingen auch im Beruf langjährig tätig bleiben – sollen, müssen zunächst einmal mehr junge Menschen ausgebildet werden.

So weit so gut, wären da nicht einige Hürden. Mit dem öffentlichen Image des Pflegeberufes steht es derzeit nicht zum Besten: harte Arbeit, Schichtdienste, geringe Aufstiegsmöglichkeiten, wenig Geld und geringe gesellschaftliche Anerkennung – so zumindest das öffentliche Bild. Und die Liste der Vorurteile ließe sich noch verlängern. Fragt man Pflegende selbst, sind die Beschreibungen des Pflegeberufes deutlich differenzierte und wohlwollender. Was die Ausbildung angeht, werden bisher Gesundheitspflege (Krankenhaus), Altenpflege und Kinderkrankenpflege in getrennten Ausbildungen absolviert. Die Folge: wenig Durchlässigkeit und damit wenig Wechselmöglichkeit für die Pflegekräfte zwischen den Systemen. Die Aufspaltung der Ausbildungen – historisch gewachsen – halten namhafte Pflegewissenschaftler schon lange nicht mehr für zeitgemäß.

Seit Jahren gibt es daher immer wieder Initiativen und Modellversuche zur Generalistischen Pflegeausbildung. Das soll jetzt, geht es nach dem Willen vieler Verantwortlicher, Wirklichkeit werden. Neben den Bundestagsparteien und dem Bundesgesundheitsminister setzt sich auch der Deutsche Pflegerat für einen neuen Pflegeberuf mit Schwerpunktsetzung – generalistische Ausbildung genannt -, der dann die Anforderungen der EU-Richtlinie 2013/55/EG umsetzt, ein. In der EU ist die deutsche Aufteilung der Ausbildung nach Kinder- Allgemeine und Altenpflege einmalig. So weisen Experten wie der Direktor des Instituts für angewandte Pflegeforschung in Köln, Prof. Dr. Frank Weidner, immer wieder darauf hin, dass eine generalistische Pflegeausbildung dem Prinzip des Medizinstudiums folgen würde: zunächst eine allgemeine Ausbildung und danach die Spezialisierung.

Und die Parteien? Den Grünen dauert das Verfahren zu lange. Die Partei Die Grünen hat unlängst die Bundesregierung aufgefordert, die Reform der Pflegeausbildung voranzutreiben. Die zuständige Grünen-Abgeordnete Scharfenberg verweist gegenüber dpa darauf, dass auf eine Anfrage ihrer Fraktion das zuständige Bundesgesundheitministerium geantwortet habe, dass Details der Reform noch nicht feststehen würden und das Gesetzgebungsverfahren 2015 beginnen solle. Ferner beabsichtige der Gesetzgeber, die Reform der Pflegeberufe gestuft in Kraft treten zu lassen. Auch Bundesgesundheitsminister Gröhe (CDU), hat mehrfach eine Reform angemahnt und insbesondere auch der Bevollmächtigte der Bundesregierung für Patientenrechte und Pflege, Karl-Josef Laumann. Er forderte in einem Interview mit der Ärzte-Zeitung (21.07.2015): „(..) Wir müssen mehr Leute für die Pflegeausbildung gewinnen. Dass es immer noch Bundesländer gibt, die dafür Schulgeld verlangen, ist ein Unding. Da könnte ich die Zornesröte kriegen.(..) Mit der Generalistik wird die Pflege insgesamt gewinnen“, so Laumann. Gröhe und Laumann sind jetzt für das Verfahren mit verantwortlich.

Da bringt sich der Koalitionspartner SPD schon einmal in Stellung. Motto: wenn’s nicht rechtzeitig klappt, hat es an der SPD nicht gelegen. Sie war ja dafür. Die SPD hat in der vergangenen Woche auf der Klausurtagung der Bundestags-Fraktion ein umfangreiches Positionspapier mit dem schönen Titel „Nur gute Arbeitsbedingungen sichern die Pflege von morgen!“ verabschiedet. Dass sich die SPD mit als treibende Kraft aller bisherigen Reformbemühungen sieht, ist – zumindest aus ihrer Sicht – nachvollziehbar: von Pflege-Weiterentwicklungsgesetz über Mindestlohn, Pflegestärkungsgesetz I und II sowie bis zum Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf sieht sie sich als die treibende Kraft. Nun steht auch für die SPD das Pflegeberufsgesetz mit dem Kernthema Generalistik auf der Agenda, um den Beruf für Auszubildene attraktiver zu gestalten.

Jetzt könnte man bei aller Wertschätzung für den Einsatz der SPD meinen, dass das auch Themen waren und sind, die durchaus auch von anderen Parteien mitgetragen wurden und werden. Aber die Sozialdemokraten gehen einen deutlichen Schritt weiter: sie fordern in ihrem Beschluss vom 04.09.2015 auch die Einführung eines verbindlichen bundeseinheitlichen Personalschlüssels für die Pflege, eine gerechte Vergütung die mindestens die Höhe des Tariflohns erreicht sowie die Überführung der gesetzlichen Pflegeversicherung in eine Bürger-Versicherung, um das aus ihrer Sicht bestehende „Zwei-Klassen-System“ abzuschaffen.

Forderungen sind wichtig, aber das Thema Pflege ist viel zu ernst, um auf dem Rücken von Pflegebedürftigen politische Grabenkämpfe auszukämpfen. Wer bundeseinheitlich verbindliche Personalschlüssel (schließlich ist Pflege weitestgehend Ländersache), Mindestzahlung nach Tariflohn (auch für nicht tarifgebundene Träger) und eine Pflege-Bürgerversicherung fordert, sollte dem Bürger auch mitteilen, mit welchen Kosten das für die Gesellschaft verbunden ist und wie diese finanziert werden sollen. Ansonsten bleibt der Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion ein Debattenbeitrag, der schnell wieder verpufft, bevor er überhaupt ernsthaft diskutiert worden ist. Das wäre schade, denn die Sicherung der Pflege – auch für zukünftige Generationen – braucht kreative Ideen. Die SPD stellt derzeit in neun Bundesländern den Ministerpräsidenten. Hier könnte die Partei verbindliche einheitliche Personalschlüssel einführen und als Vorbild agieren. Man darf also auf Ergebnisse gespannt sein.

Genau so gespannt darf man sein, wann die Bundesregierung die Generalistik in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren einbringt und zum Abschluß führt. Derweil warten Pflegende und Ausbildungsstellen auf sichere Rahmenbedingungen. Bereits im Jahr 2011 hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC darauf hingewiesen, dass sich im bevölkerungsreichen Bundesland NRW die Zahl der benötigten  Pflegekräfte in der Pflege bis zum Jahr 2030 deutlich erhöhen würde: allein hier sollen dann 40.000 Beschäftige fehlen – wenn nichts grundlegendes geschieht. Das Wissenschaftliche Institut der AOK geht im Pflege-Report 2015 davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt bundesweit rund 130.000 Fachkräfte in der Pflege fehlen werden.

Author

Ludger Dabrock

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