Positive Leadership im Gesundheitswesen – was Führung von Forschung lernen kann
Wann haben Sie das letzte Mal innegehalten? Nicht, um Entscheidungen zu treffen oder Aufgaben zu planen, sondern um Ihre eigene Wirkung zu spüren?
Gerade im Gesundheitswesen, wo Verantwortung, Geschwindigkeit und Anspruch täglich Hand in Hand gehen, ist das oft leichter gesagt als getan. Und doch entscheidet genau diese Fähigkeit – sich selbst bewusst wahrzunehmen – über die Qualität von Führung.
Ich begleite seit vielen Jahren Führungskräfte in Kliniken, Praxen und Pflegeeinrichtungen auf ihrem Weg zu mehr Klarheit, Sinn und Wirksamkeit. Der Ansatz von Positive Leadership, basierend auf dem PERMA-Modell, ist dabei zu einem festen Bestandteil meiner Arbeit geworden, weil er wissenschaftlich fundiert und zugleich tief menschlich ist. Und weil er nachweislich die Stärken von Menschen fokussiert und zu deutlich besseren Arbeitsgergebnissen führt.
Meine kürzlich abgeschlossene Weiterbildung zum Advanced PERMA-Lead Consultant® war daher kein Neubeginn, sondern eine bewusste Vertiefung. Ein Raum, in dem ich das, was mich in der Praxis seit Jahren begleitet, noch differenzierter verstehen und anwenden konnte: Wie entsteht wirksame Führung aus Haltung, Bewusstheit und Stärken? Und was heißt das konkret für die Menschen, die täglich Verantwortung tragen. Für andere und für sich selbst?
Lernen, was wirkt – Positive Leadership im Gesundheitswesen
Das PERMA-Modell, entwickelt von Martin Seligman, beschreibt fünf zentrale Säulen für Wohlbefinden und Wirksamkeit: Positive Emotionen, Engagement, Relationships, Meaning und Accomplishment. Ein Ansatz, der tief in der Forschung verwurzelt ist. Und ein Ansatz, der gerade im Gesundheitswesen eine besonders starke Wirkung entfaltet. Denn in einem Umfeld, das häufig von Effizienzdenken und Regeldruck geprägt ist, braucht es Führung, die wieder Sinn und Energie stiftet sowie zu guten Ergebnissen führt, ohne dass Menschen ausbrennen.

In meiner Weiterbildung zum Advanced PERMA-Lead Consultant®, unter der Leitung von Reinhard Fröhlich-Steiner vom Markus Ebner Team in Wien, ging es genau darum: die Brücke zwischen wissenschaftlicher Fundierung und praktischer Umsetzung zu schlagen. Vertieft wurden die PERMA-Lead Tools, also der Profiler, das 360°-Feedback und die Organisationskulturanalyse. Diese Instrumente ermöglichen es, Haltung und Wirksamkeit von Führungskräften sichtbar und messbar zu machen. Nicht theoretisch, sondern konkret im Alltag von Teams und Unternehmen. Und was sichtbar und messbar vorliegt, lässt sich bearbeiten und weiter entwickeln.
Besonders spannend für mich war die Verbindung von Analyse und Gestaltung sowie die herausragende Fachexpertise der 15 Kurskolleginnen und -kollegen: Aus den Ergebnissen entsteht ein praxisorientiertes Toolset, das Führungskräfte in Seminaren und Coachings dabei unterstützt, Positive Leadership nicht nur zu verstehen, sondern im täglichen Miteinander zu leben.
Was mich dabei wieder einmal besonders beeindruckt hat: Wie sehr Haltung den Unterschied macht. Führung wird nicht durch neue Methoden lebendig, sondern durch Bewusstheit. Durch die Fähigkeit, auf Stärken und auf das zu schauen, was bereits funktioniert, und daraus Energie zu schöpfen.
Vielleicht kennen Sie diese Erfahrung: In einem Teamgespräch liegt der Fokus meist auf Problemen. Doch wenn Sie einmal fragen, „Was hat heute gut funktioniert?“, verändert sich sofort die Energie. Menschen richten sich innerlich auf, Zuversicht entsteht. Genau hier beginnt Positive Leadership im Gesundheitswesen. Im Wechsel der Perspektive, nicht im Verdrängen von Schwierigkeiten.
Stärken sichtbar machen – der VIA-Test als Spiegel der Wirksamkeit
Ein zentrales Element der Weiterbildung war der VIA-Stärkentest. Ein wissenschaftlich fundiertes Instrument, das 24 Charakterstärken erfasst. Anders als klassische Persönlichkeitstests geht es hier nicht um Etiketten, sondern um Potenziale. Um das, was Menschen an Stärken mitbringen und antreibt.
Besonders relevant sind dabei die sogenannten Signaturstärken. Jene fünf Eigenschaften, die uns besonders leichtfallen. Dort, wo sie wirksam werden, entsteht Führung mit Leichtigkeit. Eine Praxisleiterin zum Beispiel, deren Stärke „Fairness“ ist, führt Feedbackgespräche klarer. Ein Chefarzt mit stark ausgeprägter „Dankbarkeit“ schafft spürbar mehr Teamverbundenheit.
Doch genauso spannend ist der Blick auf die weniger ausgeprägten Stärken. Jene, die im Alltag oft brach liegen. In meiner Arbeit mit Führungskräften zeigt sich immer wieder: Wenn jemand beispielsweise seine „Neugier“ oder „Teamfähigkeit“ im Beruf kaum lebt, dann liegt darin nicht Schwäche, sondern eine Chance auf Erweiterung. Gerade diese „mittleren“ Stärken bringen häufig Balance ins eigene Führungsverhalten. Und sie helfen uns dabei, blinde Flecken zu erkennen und aufzulösen.
So wird stärkenorientierte Führung zu einer Haltung, die das Ganze im Blick behält. Nicht nur das, was bereits glänzt, sondern auch das, was sich entwickeln darf.
Wenn Sie tiefer in dieses Thema eintauchen wollen, dann empfehle ich Ihnen meinen Blogartikel Stärkenorientierte Führung im Gesundheitswesen – wie Sie Stärkenarbeit gezielt im Praxis- oder Pflegekontext einsetzen können.
Tiefer verstehen, klarer führen – was Diagnostik wirklich verändert
In vier begleiteten Stärken-Coachings konnte ich erleben, wie kraftvoll diese Arbeit wirkt. Sowohl für mich als Coach als auch für die Teilnehmenden selbst.
Führungskräfte, die sich bislang als „zu emotional“ oder „nicht durchsetzungsstark genug“ erleben, haben dadurch erkannt: Ihre Empathie oder Geduld ist keine Schwäche, sondern eine Stärke, die sie nur noch nicht bewusst einsetzen.
Andere wiederum haben entdecken, dass ihre Stärke in Verantwortungsbewusstsein oder Selbstdisziplin manchmal zu sehr in Richtung Kontrolle kippt. Was sie selbst als „konsequente Führung“ verstehen, wirkt auf ihr Team häufig als Distanz. Durch den Blick auf das gesamte Stärkenprofil – und in Kombination mit dem LINC Personality Profiler – können sie diese Muster besser für sich einordnen: Sie verstehen, was sie antreibt, wo sie übersteuern, und welche Stärken helfen, Vertrauen und Kooperation zu fördern.
Für mich als Berater & Coach liegt darin ein entscheidender Moment: Sobald diese Selbsterkenntnis spürbar wird, kann echte Veränderung beginnen. Dann geht es nicht mehr darum, vermeintlich „richtig“ zu führen, sondern darum, die eigene Balance zu finden. Zwischen Struktur und Vertrauen, zwischen Anspruch und Gelassenheit.
Diese Momente des Erkennens verändern Führung spürbar. Wer sich selbst in seiner ganzen Bandbreite wahrnimmt – mit Antrieben, Grenzen und Potenzialen – führt klarer, bewusster und menschlicher. Gerade im Gesundheitswesen, wo Verantwortung und Zeitdruck täglich Hand in Hand gehen, ist Selbstreflexion als Führungskompetenz kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.
Denn wer weiß, was ihn innerlich trägt, kann auch andere tragen. Und bleibt dabei selbst in Balance.

Vom Lernen ins Tun – Haltung im Führungsalltag
Lernen entfaltet erst dann Wirkung, wenn es den Alltag erreicht. Positive Leadership ist kein theoretisches Konzept, sondern etwas, das vor allem in den kleinen Momenten spürbar wird. In der Art, wie Sie zuhören, wie Sie Entscheidungen kommunizieren, wie Sie mit Fehlern umgehen.
In den letzten Monaten habe ich wieder erlebt, wie Führungskräfte begonnen haben, diese Haltung Schritt für Schritt zu leben. Eine Klinikleitung etwa integrierte kurze „Check-ins“ in ihre Teamrunden. Nicht, um Ergebnisse abzufragen, sondern um Stimmungen zu hören. „Wie geht es Ihnen heute – ganz ehrlich?“ wurde zum stärksten Führungsinstrument, das sie je genutzt hat.
Ein anderer Teilnehmer, Leiter eines ambulanten Pflegedienstes, führt Zielgespräche jetzt anders. Statt ausschließlich auf Leistung zu schauen, fragt er: „Was hat Ihnen in den letzten Wochen Energie gegeben, und was hat sie Ihnen genommen?“ Diese einfache Verschiebung des Fokus führt dazu, dass Mitarbeitende wieder eigene Ideen einbringen, statt nur Erwartungen zu erfüllen.
Solche vermeintlich kleinen Veränderungen sind keine Methoden, sondern Ausdruck einer Haltung: Führung mit Bewusstheit und Vertrauen. Positive Leadership zeigt sich nicht im nächsten großen Projekt, sondern in einer Kultur, die Sicherheit und Sinn verbindet. Wenn Sie beginnen, auf das zu achten, was gelingt, dann verändert sich, was Sie wahrnehmen – und damit, wie Sie führen. Für mich immer wieder faszinierend ist, dass damit auch die Arbeitsergebnisse signifikant besser werden, die Teamstabilität steigt und Abwesenheitsquoten sinken. Anders ausgedrückt: Führung leistet einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen.
In Coachings mit Führungskräften nutze ich genau diese Momente als Wendepunkte. Wenn jemand erkennt, dass Wertschätzung kein „Nice to have“ ist, sondern eine Form der Wirksamkeit ist. Dann wird aus Wissen Handlung. Dann geschieht wahre Veränderung.
Denn in einem System wie dem Gesundheitswesen, das oft vom Mangel geprägt ist, kann eine bewusste Haltung zu Stärken, Sinn und Miteinander der vielleicht wirksamste Beitrag sein, den Führung leisten kann.
Fazit: Führung braucht Lernräume
Diese Weiterbildung hat mir erneut gezeigt, dass Führung nicht perfekter werden muss, sondern bewusster. Positive Leadership im Gesundheitswesen bedeutet, den Blick zu weiten: von Defiziten hin zu Ressourcen, von Kontrolle hin zu Vertrauen.
Führung, die stärkt, entsteht dort, wo Menschen sich selbst besser verstehen und bereit sind, dieses Verständnis in ihr Handeln zu übersetzen. Sie braucht Lernräume, in denen Reflexion Platz hat. Und sie braucht Führungskräfte, die mutig genug sind, Fragen zu stellen statt sofort Antworten zu geben.
Vielleicht fragen Sie sich: Wie kann ich das in meinem Alltag umsetzen, ohne noch mehr leisten zu müssen und mich zu verzetteln?
Für den Start liegt der Schlüssel nicht im Tun, sondern im Bewusstsein. In kleinen, ehrlichen Momenten, in denen Sie innehalten, zuhören und Entscheidungen aus Klarheit treffen. Denn Führung beginnt nicht mit der Entscheidung für andere, sondern mit der Entscheidung für sich selbst.
Und manchmal macht dieser kleine Schritt schon einen Unterschied. Für Sie, Ihr Team und Ihr Unternehmen.